Auf Wiedersehen, Kleine Zeitung! Es waren 15 schöne Jahre
Zusammenfassung
Nach 15 Jahren verlasse ich die Kleine Zeitung. Auch wenn der Umstand melancholisch stimmt, so offenbart der Blick zurück eine Zeit der Begeisterung, eine Zeit des Wachstums, eine Zeit der Kreativität, eine Zeit der Wissbegierde, eine Zeit der Freundschaft. Kurzum: Eine gute Zeit.
Mein Einstieg in die Online-Redaktion der Kleinen Zeitung begann gewissermaßen mit einem Knall. Mein Probemonat dauerte gerade einmal eine Woche an, als der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider tödlich verunglückte. Obwohl ich zuvor nur für Magazine und eine gedruckte Tageszeitung gearbeitet hatte, schreckte mich die rasante Arbeitsweise des Online-Journalismus keineswegs ab. Vielmehr empfand ich es befreiend, dass man zu Dienstbeginn nicht wusste, was auf einen wartete. Und nach Dienstende war alles erledigt, nichts wurde aufgeschoben, alles wurde sofort veröffentlicht.
Mit diesen ersten Eindrücken begann ich dann mein Masterstudium „New Media Journalism“, das mich in meinen ersten beiden Jahren in der Kleinen Zeitung zusätzlich ziemlich forderte. Doch dadurch hatte ich auch die Möglichkeit, innerhalb der Online-Redaktion für ein halbes Jahr in das Video-Team zu wechseln. Neben so manchem Hoppla ist mir aus dieser Zeit vor allem eine Geschichte in Erinnerung: Es war der Tag, an dem es zu einem Bombenanschlag in der Moskauer U-Bahn kam. Zu dieser Zeit gab es in Graz noch ein russisches Restaurant. Frei nach dem Motto „local-first“ bin ich mit der Kamera ausgerückt, um die Besitzerin zu interviewen. Die Frau war komplett aufgelöst. Ihre Schwester war im selben U-Bahn-Zug, nur einen Waggon hinter jenem mit der Bombe. Welch berührender Zufall.
In diese Zeit fällt auch der erste Livestream der Kleinen Zeitung von einer Wahl in der Steiermark. Gewählt wurde der Landtag. Ich war als Kameramann mit von der Partie. In einer kleinen Nische berichteten wir live von der Wahl, holten Interviewgäste und stellten die Wahlergebnisse mit Lego-Blöcken dar. Low-Tech und Low-Budget, aber High-Begeisterung. Seit dem war ich bei den großen Livestreams zu Wahlen oder auch bei der Opern-Redoute immer Teil des Teams – jedoch nicht hinter der Kamera, sondern im Produktion-Team.
Ein Wendepunkt meiner journalistischen Arbeit ereignete sich am 11. März 2011, der Tag der Fukushima-Katastrophe. Es war ein Freitag und ich hatte Frühdienst, mit Arbeitsbeginn um 6.00 Uhr. Der erste Blick galt immer dem APA-Feed der Nacht. Und da gab es eine unscheinbare Meldung, die mir dennoch ins Auge fiel. Vor der Küste Japans hatte die Erde gebebt, es gab eine Tsunami-Warnung. Um 6.15 Uhr hatten wir die Story als einfache Meldung auf der Webseite, am Nachmittag kam dann die Meldung, dass die Kühlung im Kernkraftwerk Fukushima ausgefallen war. Es folgten sieben intensive Tage, die für mich aus „Aufstehen-Livetickern-Schlafen“ bestanden.
Ich habe damals praktisch permanent im „Flow“ gearbeitet – ein Geisteszustand, den man nicht beschreiben kann. Man funktioniert einfach. Doch vor allem ein Bild lässt mich seither nicht mehr los. In den ersten Stunden gab es kaum Foto-Material, also rief ich die Webseiten japanischer Nachrichtensender auf. So konnte ich live zusehen, wie die Wassermassen sich landeinwärts wälzten, auf einer Landstraße versuchten Menschen in einem Auto vor der Welle zu flüchten, die ein Haus nach dem anderen verschlang. In diesem Moment drückte ich die Kombination „Strg+Druck“ und machte diesen Screenshot zum Aufmacherbild auf der Webseite der Kleinen Zeitung.
Heute frage ich mich, ob ich damit nicht die Würde dieser Menschen verletzt habe? Ob dieses Bild für meine Leser und Leserinnen wirklich einen Mehrwert darstellte? Oder, ob es nicht doch viel mehr Sensationssucht war? War es nicht eher meine Pflicht als Chronist, diese Ereignisse so darzustellen, wie sie sind – mit all ihrer Brutalität? Ich konnte für mich bis heute keine Antwort finden. Nur so viel ist klar: Seither versuche ich gerade in Phasen des Zeitdrucks, innerlich einen Schritt zurückzutreten und zweimal zu überlegen, was ich tun möchte.
2013 endete in der Kleinen Zeitung die Trennung zwischen Print- und Online-Redaktion und wir wurden dadurch zu einem großen Team. Ich wechselte in die Wirtschaftsredaktion, deren Mitglied ich bis zuletzt blieb. Hier hatte ich auch Zeit, mich auf Spezialthemen zu fokussieren und wurde beispielsweise zum Experten für Kryptowährungen. 2011 hatte ich in der Online-Redaktion erstmals über Bitcoin geschrieben und war der erste Journalist in Österreich, der das Thema aufgegriffen hatte. Natürlich deckte ich auch alle anderen Bereiche der Wirtschaft ab, von Zinsen über Freihandelsabkommen bis zu Datenschutz und Landwirtschaft.
In Erinnerung – und zwar in keiner guten – bleibt mir ein Interview mit dem Europa-Chef von Monsanto. Wir waren längst in den Newsroom gezogen, als der Agrarchemie-Konzern bei mir nachfragte, ob ich an einem Gespräch über die anstehende Verlängerung der Zulassung von Glyphosat interessiert wäre. Ich hatte damals noch nie über das Thema Pflanzenschutz, vulgo Unkrautvernichtung, geschrieben und steckte daher im Vorfeld des Gesprächs viel Energie in die Vorbereitung. Beim Interview zeigte ich harte Kante, fragte kritisch und ließ mir nicht das Heft des Handelns aus der Hand nehmen. Und es war ein wirklich gutes Interview (die Aufnahme hab ich noch). Doch im deutschsprachigen Wirtschafts-Journalismus gibt es die Unart, dass Interviewpartner oft darum bitten, den Text vorab sehen zu dürfen. Auch Monsanto fragte und ich willigte ein. Was zurückkam, hatte ich davor noch nie erlebt und auch nicht danach. Denn die PR-Abteilung des Pharmakonzerns erdreistete sich nicht nur, die Antworten komplett zu verdrehen, sie wagte es auch, meine Fragen umzuschreiben. Selbstredend ist dieses Interview nie erschienen. Nachfolgenden Interviewpartnerinnen und -partnern machte ich bei der Frage nach dem Text dann stets klar, dass ich faktische Einwände möglicherweise prüfe, inhaltlich jedoch keine Änderungen akzeptiere. Das hat auch immer gut geklappt.
In den darauffolgenden Jahren schrieb ich hunderte Artikel, die alle eine Erwähnung in diesem Rückblick verdient hätten. Einige habe ich in meinen Retrospektiven gewürdigt. Doch ich möchte meinen Fokus auf den Wandel der journalistischen Arbeit in den vergangene zehn Jahren legen. War davor das journalistische Gespür und der richtige Riecher für Geschichten der wichtigste Wegweiser zu tollen Artikeln, übernahm nach und nach die Zugriffsstatistik. Statt dem Instinkt zu folgen, wurden Visits und Page Impressions immer wichtiger. Wer mehr davon hat, kommt in die Auslage. Ich bin ein Zahlenmensch und kann diesen Zugang sehr gut nachvollziehen. Erst als in der Pandemie eine Kluft zwischen Zugriffszahlen und Fakten entstand, kam in mir eine Abneigung gegen diese Zahlenhörigkeit hoch. Doch es war längst zu spät. Statt Orientierung zu bieten, verloren wir Journalistinnen und Journalisten selbst die Peilung.
Ich nehme mich hier auch gar nicht aus. Stets habe ich die Zahlen geprüft und innerlich frohlockt, wenn die Artikel des Wirtschaftsressorts jene anderer Ressorts übertrumpften. Nur haben meine Kolleginnen und Kollegen genauso wie ich dabei übersehen, wie sehr wir immer mehr zum Werkzeug der Algorithmen von Google, Facebook und Co. geworden sind. Heute wenden sich viele Menschen vom Journalismus ab, womöglich auch deshalb.
Das stürzt Traditionshäuser wie die Kleine Zeitung (und nicht nur sie) in die Krise. Unverdient, wie ich betonen will. Denn viele meiner Kolleginnen und Kollegen im Newsroom halten das Banner der Pressefreiheit hoch und verteidigen es trotz kräftigem Gegenwind Tag für Tag. Leider reicht es nicht immer. Und so bin ich es nun, der von der Sturmbö der Veränderung erfasst und vom Deck dieses Nachrichten-Dampfers gefegt wird. Auch wenn der Schreck tief sitzt: Ich richte mich auf, klopfe den Staub vom Mantel, richte den Piratenhut, blicke mit einer Träne im Auge zurück, dreh mich um und lasse mich dann von meinem inneren Kompass weiterleiten.
Meinen vielen Freundinnen und Freunden in der Kleinen Zeitung wünsche ich nur das Beste für die Zukunft! Steuert dieses Nachrichten-Schiff sicher durch die Untiefen des postfaktischen Zeitalters!
Es war mir eine Freude und man sieht sich im Leben immer mehrmals!