SpielwieseBrexit: Entsetzen - Spielwiese

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Roman Vilgut

Journalist & Blogger

Brexit: Entsetzen

Ich schreibe hier selten über Politik und Wirtschaft – davon habe ich ja in der Arbeit genug. Aber der Brexit, der Austritt Großbritanniens aus der EU hinterlässt in mir einen tiefen Schock und ein Gefühl der Verzweiflung.

Mir war natürlich klar, dass das Ergebnis knapp sein wird, aber ich bin ja grundsätzlich ein Optimist und so war ich der Hoffnung, dass die Vernunft siegen wird. Diese Hoffnung wurde enttäuscht. Die Sieger dieser Abstimmung sind ein Haufen populistischer und egoistischer Opportunisten. Die Verlierer sind zu aller erst das gesamte britische Volk, dann folgen alle Einwohner der EU und die gesamte Weltbevölkerung.

Den größten Schaden tragen die Briten selbst davon. Die Wirtschaft der Insel ist stark auf Dienstleistungen orientiert. Das Ende des Binnenmarktes bedeutet für die meisten Firmen auch das Ende für ihr Angebot. Das bisschen Industrie, das UK noch hat, kann ohne Binnenmarkt nicht funktionieren. Nur zwei kleine Beispiele. Wie jedes WTO-Mitglied wird Großbritannien beim Import von Pkw und Landmaschinen in die EU künftig zehn Prozent Zoll zahlen müssen. CNH-Chef Sergio Marchionne hat bereits angekündigt, im Falle des Brexit die Produktion abzuziehen. Und auch BMW wird die Mini-Produktion in UK wohl drosseln – einen Zehn-Prozent-Aufschlag auf die Autos wird EU-Kunden schwer erklärbar sein.

Unsicherheit

Bei diesen Beispielen könnte man sich aus österreichischer Sicht fast die Hände reiben. Weniger Minis aus England könnte mehr Minis aus Graz bedeuten. Und auch in Oberösterreich könnte man denken: Na und! Dann baut halt Steyr die CNH-Traktoren.

Nur so leicht ist es eben auch für Europa nicht – was mich zu den nächsten Verlierern führt. Europa ist gerade dabei, sich von den Folgen der Schuldenkrise zu erholen. In den südeuropäischen Staaten wächst die Wirtschaft wieder leicht. Man kann darauf hoffen, dass auch die Arbeitslosigkeit bald sinken wird und es mehr Steuereinnahmen gibt. Zumindest konnte man bisher darauf hoffen. Jetzt ist alles offen. Niemand weiß wirklich, wie Unternehmen in Großbritannien reagieren. Niemand weiß, wie Schottland reagiert – dort wurde ja mit überwältigender Mehrheit für die EU gestimmt. Nutzt das Schottische Parlament den Brexit, um erneut die Loslösung von England zu versuchen, kann Schottland dann die britische Mitgliedschaft in der EU übernehmen. Das wäre ein Rettungsanker für viele britische Banken. Sie könnten ihren Sitz nach Schottland verlegen und würde dann weiterhin innerhalb der EU agieren. Auch Konzerne wie BP könnte Schottland einen Ausweg bieten.

Aber das sind alles „Was wäre wenn“ Theorien. Alles liegt im Unklaren, alles ist unsicher. Und was eine sicher erholende Wirtschaft in der EU sicher NICHT gebrauchen kann, ist: Unsicherheit. Ganz Europa steht als Verlierer da.

Schaden für Entwicklungsländer

Doch auch der Rest der Welt wird durch diese Unsicherheit Schaden erleiden. Viele chinesische Unternehmen haben die Zollabkommen zwischen Hong Kong und Großbritannien als Tor in die EU genutzt. Dieses Tor ist nun verschlossen. UK war für viele US-Firmen das Tor in die EU. Auch sie müssen sich neu orientieren. Und schließlich war England einer der Wortführer in der Erweiterung des Freihandels innerhalb der EU. So groß die Kritik an Generalabkommen wie CETA und TTIP auch sein mag, der weltweite Handel ist der Motor der wirtschaftlichen Entwicklung auf dieser Welt und der weltweite Handel ist auch die einzige Möglichkeit, damit sich Schwellenländer und die Staaten der Dritten Welt sich selbst aus der Armutsfalle befreien können, ohne auf die mageren Almosen der Industriestaaten angewiesen zu sein.

Krebsgeschwür: Nationalismus

Und nicht zuletzt ist der Brexit auch ein Rückschlag für das Friedensprojekt EU. Ein Friedensprojekt, das die Gräben des Nationalismus überwinden soll. Ich verstehe einfach nicht, warum viele Menschen nicht bereit sind, sich an die 1980er Jahre zu erinnern, die echten 1980er Jahre, nicht die verklärte Fanta-Gelb-Welt die viele heute vor Augen haben. Jene 1980er Jahre, in denen Österreichs Heer geübt hat, wie es die Bevölkerung bei einem nuklearen Erstschlag schützt. Jene 1980er Jahre, in denen ich als Schüler bei einer Übung in den Schutzbunker meiner Schule musste. Jene 1980er, in denen ein Gymnasium allen Ernstes einen Schutzbunker hatte. Es erinnert sich auch niemand mehr an den Beginn der 1990er, in denen direkt an der österreichischen Grenze gekämpft wurde, in denen nur wenige Kilometer entfernt Kriegsverbrechen an der kroatischen und bosnischen Bevölkerung verübt wurden.

Und wenn man noch weiter zurückblickt, so hat der Nationalismus in Europa im vergangenen Jahrhundert zwei Weltkriege heraufbeschworen, die rund 80 Millionen Menschen das Leben kosteten.

Dieser Nationalismus ist das Krebsgeschwür der Menschheit. Und heute hat Großbritannien den Kampf gegen den Krebs verloren.