Eurokrise: Vor der eigenen Türe kehren
Langsam aber sicher könnte ich meinen Wirtschaftsblog in Euroblog umbenennen. Aber angesichts der jüngsten Ausritte der EU-Politiker gegen Ratingagenturen muss ich erneut darauf hinweisen: Die sind nicht schuld an der Krise.
Manchmal reicht nur ein Satz, um eine globale Massenpanik auszulösen. Der Satz kam in diesem Fall von Silvio Berlusconi, seines Zeichens Ministerpräsident von Italien. In einem Zeitungsinterview kritisierte er seinen Finanzminister und damit indirekt dessen Sparpaket. Hinzu kommt, dass die Ratingagentur Standard & Poors dieses nicht für ausreichend hält. Das war genug, um das Fass überlaufen zu lassen. Panikartig verbreiteten sich Gerüchte über Krisensitzungen, die Indizes in Mailand sackten ab und der Euro verlor einige Cent gegenüber dem Dollar.
In der EU war man sich schnell einig, wer der wahre Verursacher dieser Massenpanik war: die Ratingagentur. Wütend forderte EU-Kommissarin Vivienne Redding die Zerschlagung des Rating-Oligopols aus Standard & Poors, Moody´s und Filtch. Immerhin: Redding findet wenigstens klare Worte im Gegensatz zu manchen Nationalpolitikern. Der deutsche Wirtschaftsminister Philipp Rössler klingt im Vergleich dazu direkt niedlich. Ein besserer Marktzugang für kleine Konkurrenzunternehmen sei nötig.
So ein Sündenbock ist für die Politik natürlich furchtbar praktisch. Wenn man mit dem Finger auf jemanden zeigen kann, kommt man beim Wahlvolk gut an. Aber um auf den Boden der Realität zurückzukommen: Was wäre denn anders, hätten wir 20 Ratingagenturen?
Hätte Europa in dem Fall weniger Schulden? Könnten die Regierungen weiterhin Geld ausgeben, das sie nicht haben? Würde man sich mit den Chefs der Agenturen bei einem abendlichen Bussi-Bussi-Event auf ein Glaserl Sekt treffen? Wäre dann alles eitel Wonne?
Nichts davon würde geschehen. Europa hätte dasselbe Problem wie heute – nur vermutlich schon deutlich länger. Denn das Rating-Oligopol, wie Redding es bezeichnet, hat der Politik bisher ja nur genutzt. Denn jahrelang hat sich keines der Unternehmen die Mühe gemacht, die Finanzpolitik der Staaten genau unter die Lupe zu nehmen. Nie haben die Agenturen die fehlende Dynamik in Europa angeprangert. Nie haben sie darauf hingewiesen, dass Deutschland, Benelux und Österreich mit ihren sinkenden Realeinkommen den Aufschwung in Südeuropa gefährden. Vielleicht hätten europäische Agenturen auch den Finanzschwindel in Griechenland vorzeitig aufdecken können.
Nein, diese Kontrollaufgaben haben sie den NGO überlassen und die Regierungschefs konnten als Verteidigung stolz auf ihr Rating verweisen und behaupten, dass eh alles gut wäre.
Heute fehlt den Politikern diese Ausrede und verzweifelt sucht man nun einen Ausweg. Zerschlagung und unabhängige Agenturen sind populäre Ideen, die ich hier alle befürworte. Allerdings nicht, weil es die Regierungen dann leichter hätten, sondern weil das Kontrollnetz dann enger wäre und man mit gefälschten Statistiken nicht mehr zu einem AAA-Rating käme. Die Staatschefs müssten dann vor der eigenen Haustüre kehren, anstatt den Schwarzen Peter immer anderen zuzuschieben.
von Roman Vilgut
Bildquelle: SundayMorning / FreeDigitalPhotos.net
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